Routenplanung zur Dekarbonisierung
Wirkungsvoll: Klimaschutzmaßnahmen zusammen betrachten und planen
Wasserstoff, Photovoltaik, Biomasse oder Wärmepumpe – für die Dekarbonisierung stehen Unternehmen viele Technologien und Möglichkeiten zur Verfügung. Auf welche sollten sie setzen? Leider gibt es nicht die eine Lösung.
Dieser Artikel beschreibt, worauf es ankommt, um die wirkungsvollsten Maßnahmen für das eigene Unternehmen zu finden und Fehlinvestitionen zu vermeiden. Nur die ganzheitliche Betrachtung erlaubt ein methodisches Planen auf dem Weg zur Dekarbonisierung des ganzen Unternehmens.
Die Dekarbonisierung beschreibt den Prozess zur Reduzierung der CO2-Emissionen. Sie besteht grundsätzlich aus drei Komponenten: Reduktion, Substitution und Kompensation. Sinnvoll ist es, diese auch in dieser Reihenfolge anzugehen.
Für die Reduktion braucht es in erster Linie Daten zu Energieflüssen und -verbräuchen im Unternehmen sowie eine CO2-Bilanz. Denn das schafft die nötige Transparenz, um Ansatzpunkte für Effizienzmaßnahmen sichtbar zu machen. Gleichzeitig legen Unternehmen damit die Basis, auf der sie konkrete Klimaschutzziele definieren und einen Plan entwickeln können, um diese Ziele zu erreichen.
Aufgrund von Zeitmangel und/oder fehlender personeller Ressourcen wird eine solche langfristige Planung oft nicht realisiert oder nur hinsichtlich singulärer Maßnahmen betrachtet. Die Umsetzung von Einzelmaßnahmen oder auch “low hanging fruits” ist anfangs meist sehr wirkungsvoll, doch wenn es um weitere Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutz- oder anderer Unternehmensziele geht, erweist sich manches im Nachhinein als nicht optimale Lösung.
Das liegt daran, dass das Thema Energie meist viele Unternehmensbereiche betrifft. Zudem haben entsprechende Maßnahmen oft nicht nur unternehmensweite, sondern auch sektorenübergreifende Auswirkungen, d. h., sie können Strom, Wärme und Kälte sowie Gas und Mobilität betreffen.
Planung verhindert Fehlinvestitionen
Mit einer langfristigen Planung hingegen ist der Dekarbonisierungsweg klar, wesentliche Maßnahmen sind aufeinander abgestimmt und zahlen auf dasselbe Ziel ein oder es entstehen sogar Synergien. Den Nutzen eines solchen Konzepts hat auch die Regierung erkannt und sogenannte Transformationskonzepte in die Bundesförderung für Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft (EEW) aufgenommen. Die Förderung macht es für Unternehmen noch interessanter, das Thema zeitnah anzugehen.
Fördermittel für Transformationskonzepte
Ein Transformationskonzept beschreibt eine langfristige Strategie zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen. Es ist förderfähig, wenn es folgende Komponenten beinhaltet:
- eine aktuelle Treibhausgas-Bilanz,
- eine Beschreibung des Soll-Zustands in zehn Jahren mit um mindestens 40 % geringeren Emissionen im Vergleich zur aktuellen Bilanz,
- einen Maßnahmenplan zur Erreichung des Soll-Zustands mit mindestens einer nach EEW förderfähigen Maßnahme,
- das Ziel, spätestens im Jahr 2045 die CO2-Neutralität zu erreichen,
- eine Beschreibung, wie das Unternehmen das Transformationskonzept in seiner Struktur verankert.
Antragsberechtigt sind praktisch alle Unternehmen. Förderfähig sind die Kosten für die Erstellung und Zertifizierung der CO2-Bilanz, für Energie- und andere Beratungstätigkeiten sowie für Messungen, Datenerhebungen und -beschaffungen und weitere Aktivitäten, z. B. eine unternehmensübergreifende Beratung, die mit der Erstellung des Transformationskonzeptes zusammenhängen.
Die Förderquote beträgt für kleinere Unternehmen 60 %, für mittlere Unternehmen 50 % und für Großunternehmen 40 %, maximal 50.000 €. Für Unternehmen, die nachweislich an einem Netzwerk der Initiative Energieeffizienz- und Klimaschutz-Netzwerke teilnehmen, erhöht sich die Förderquote und -summe.
Sektorenkopplung und Fuel Switch
Im Rahmen der Substitution, also dem Ersatz klimaschädlicher Energieträger durch klimaneutrale oder -freundlichere Alternativen, spielt die Sektorenkopplung eine große Rolle. Dabei werden Strom, Wärme und Kälte, Gas und Mobilität bewusst verbunden.
Viele Lösungen, die mit ‚Power-to-‘ beginnen, zeigen, dass die Elektrifizierung dabei die Hauptrolle spielt. Denn Strom ist die Energieform, die sich am einfachsten dekarbonisieren lässt, z. B. durch Photovoltaik, Wind- oder Wasserkraft – und zwar unabhängig davon, ob dieser Strom vor Ort selbst erzeugt oder bilanziell bzw. über Herkunftsnachweise dem Strombezug gutgeschrieben wird. Der klimaneutrale Strom lässt sich nutzen, um z. B. Wärme (Power-to-Heat) zu erzeugen. Für viele Einsatzgebiete ist auch ein Fuel-Switch das Mittel der Wahl, d. h. der Austausch von fossilen Brennstoffen durch klimafreundlichere Primärenergieträger wie Biomasse, geeignete Produktionsreststoffe, Wasserstoff oder Biomethan.
Zahlreiche Wechselwirkungen
Derzeit werden zahlreiche Lösungen angepriesen, sei es Wasserstoff, Wärmepumpen oder Biomasse. Um sich zu informieren oder ein Angebot einzuholen, wenden sich Energieverantwortliche in der Regel an die Anbieter entsprechender Anlagen. Sie sind ausgewiesene Experten, was die Technologie und Einsatzbereiche ihrer Anlagen angeht. Häufig kommt der Blick auf die gesamte energetische Situation und die Ziele des Unternehmens dabei jedoch zu kurz, z. B. bei einer Wärmepumpe. Für den Industrieeinsatz stehen bereits Hochtemperatur-Wärmepumpen mit Vorlauftemperaturen von bis zu 140 °C zur Verfügung, mit denen sich bspw. Prozesswärme ersetzen lässt. Hierfür bringen sie mithilfe von Strom und einem Kältemittel vorhandene (Ab-)Wärme mit einem geringen Temperaturniveau sehr effizient auf ein höheres Temperaturniveau.
Idealerweise lassen sich dabei Abwärmequellen erschließen, deren Kühlung im Kühlturm oder durch Kältemaschinen, zusätzlichen – vermeidbaren – operativen Aufwand darstellt. Dieser lässt sich mit einer Wärmepumpe neben den Aufwendungen für die Prozesswärmebereitstellung zusätzlich reduzieren. Für eine langfristige Versorgung ist sicherzustellen, dass die zu nutzende Abwärme ebenfalls langfristig anfällt.
Neben der Abwärmenutzung steigt im ersten Schritt der Strombedarf des Standortes durch die Wärmepumpe. Hier ist zu prüfen, ob der Netzanschlusspunkt und die elektrischen Anlagen ausreichend dimensioniert sind. Und weil die Wärmepumpe sogar klimaneutral arbeitet, wenn sie mit Ökostrom betrieben wird, kommt die Überlegung ins Spiel, diesen Strom z. B. mit einer Photovoltaik-Anlage selbst zu erzeugen. Hierfür ist neben den baulichen Gegebenheiten auch die Genehmigung des Netzbetreibers entscheidend.
Hinzu kommt die wirtschaftliche Betrachtung: Derzeit lohnt sich eine PV-Anlage am meisten, wenn das Unternehmen den erzeugten Strom selbst verbraucht. Dies kann wiederum für die Elektrifizierung weiterer Prozesse und/oder die Installation einer Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge sprechen. Außerdem sind Alternativen zum Kauf einer PV-Anlage zu bedenken, z. B. ein Pachtmodell oder ein sogenannter Stromdirektliefervertrag, auch Onsite-PPA genannt. Dabei vermietet das Unternehmen seine Dachfläche an einen Partner, der die Installation und Finanzierung sowie Betrieb und Wartung der Anlage übernimmt. Der produzierte Strom wird dem Unternehmen wieder zur Verfügung gestellt.
Gesamtes Unternehmen im Blick behalten
All das zeigt eindrücklich: Neben der spezifischen Sektorenkopplung haben viele Energieeffizienz- und Dekarbonisierungsmaßnahmen sektorenübergreifende Auswirkungen auf das ganze Unternehmen. Für eine langfristig ideale Lösung ist deshalb eine ganzheitliche Betrachtung mit tiefem Verständnis für das Zusammenspiel der Unternehmensprozesse und der Maßnahmen sowie energiewirtschaftlicher Rahmenbedingungen und unterschiedlicher Fördermechanismen entscheidend.
Die Vielzahl an Möglichkeiten und ihre Wechselwirkungen bringen viele Energiemanager an die Grenze ihrer Möglichkeiten. Bevor sie deshalb nichts tun oder Einzelmaßnahmen ohne Gesamtkonzept umsetzen, ist es ratsam, Unterstützung durch einen erfahrenen Energiedienstleister zu holen, der über das Know-how zu allen Technologien verfügt und lösungsneutral – also auch sektorenübergreifend – beraten kann.
Autor: Jan Mehlberg, Regionalleiter Nord Business-Kunden, MVV Enamic