Aktuelle Herausforderungen in der Verpackungsbranche
Interview mit Christian Traumann, CEO der Multivac Group
Strengere Umweltauflagen, Fachkräftemangel, steigende Kosten für Energie und Materialien: Die Verpackungsbranche sieht sich mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Welche Lösungen die Multivac Group bietet und wie sich das Unternehmen für die Zukunft aufstellt, erklärt CEO Christian Traumann im Interview.
LVT LEBENSMITTEL Industrie: Herr Traumann, seit Januar 2023 hat Multivac erstmals in der Unternehmensgeschichte eine Viererspitze. Welchen strategischen Zweck hat die Erweiterung der Geschäftsführung?
Christian Traumann: Die Multivac Group hat 2022 fast 1,5 Mrd. € Umsatz erzielt. 2025 wollen wir die Zwei-Milliarden-Marke knacken. Aufgrund dieses erfreulichen Wachstums hat sich der Verwaltungsrat nach dem Ausscheiden von Guido Spix, mit dem ich von 2020 bis 2022 gemeinsam das Unternehmen geleitet habe, entschieden, die Struktur der Konzernleitung auf eine breitere Basis zu stellen. Mit den drei neuen geschäftsführenden Direktoren Bernd Höpner (CTO), Dr. Christian Lau (COO) und Dr. Tobias Richter (CSO) haben wir nun genügend Ressourcen, alle unsere Zukunftsthemen gleichzeitig in den Fokus zu nehmen – etwa Prozessautomation, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Und noch näher an unsere Kunden zu rücken. Dabei sehen wir uns schon länger nicht mehr als reiner Maschinenlieferant. Vielmehr als Lösungsanbieter. Mit diesem Selbstverständnis wollen wir Unternehmen auf der ganzen Welt als Partner zur Seite stehen. Und sie dabei unterstützen, dass sie ihre Produktivität steigern – mit State-of-the-art Technologie und aktuellem Know-how rund um Prozessautomation und Industrie 4.0. Dies wird uns mit der breiteren Basis noch besser gelingen. Ich bin daher zuversichtlich, dass wir unser gestecktes Umsatzziel von zwei Mrd. € bis 2025 erreichen.
Trotz Krisen wie Corona und dem Ukraine-Krieg ist Multivac auf Wachstumskurs. Was ist das Geheimnis des Erfolgs?
C. Traumann: Auch wir können nicht über das Wasser gehen. Vielmehr ist es uns in den letzten Jahrzehnten des Wachstums gelungen mit inzwischen mehr als 80 Tochtergesellschaften, über 1.000 Servicetechnikern, dezentralen Ersatzteillagern und bald 14 Produktionsstandorten ein globales und reaktionsschnelles Vertriebs- und Servicenetzwerk aufzubauen, von dem unsere Kunden profitieren. Dieses Netzwerk ermöglicht Kundennähe in nahezu jedem Winkel der Erde. Diese Nähe war, ist und wird auch in Zukunft die Erfolgsstrategie von Multivac sein und Basis für stabile Partnerschaften mit Kunden in aller Welt. Wir haben uns in mehreren Branchen mit Lösungen etabliert, die zuverlässig Mehrwert generieren. Das war auch in der Covid-19-Pandemie ein stabiles Geschäft. In der Lebensmittelindustrie ebenso wie in der Medizingüterindustrie. In Letzterer haben wir während der Krise zum Teil von Großprojekten profitiert. Eines der größten: Puritan, einer der führenden Hersteller von Tupfern für Corona-Schnelltests. Das Unternehmen sollte 2020 auf Bestellung der US-Regierung die Kapazität auf 400 Millionen Teststäbchen pro Monat ausbauen. Innerhalb von nur zwölf Wochen. Um eine geeignete Verpackungslösung bereitzustellen, haben unsere langjährig erfahrenen Projektmanager in Rekordzeit Technologien mehrerer Hersteller kombiniert, 37 neue Verpackungslinien konzipiert und installiert.
Fachkräftemangel ist in aller Munde und wird für viele Industrieunternehmen zum Existenzrisiko. Wie geht Multivac mit dieser Entwicklung um?
C. Traumann: Die Covid-19-Pandemie ist auch an uns nicht spurlos vorbeigegangen. Wir haben eine höhere Fluktuation erlebt, weil sich viele Mitarbeitende nach der Krise beruflich neu orientiert haben. Mittlerweile hat sich die Lage aber wieder stabilisiert. Die Krise hat uns dennoch einmal mehr vor Augen geführt, wie wichtig es ist, eigene Fachkräfte auszubilden und Mitarbeitende zu halten. Im Bereich der Ausbildung ist es uns gelungen, 42 junge Menschen für das Ausbildungsjahr 2023 zu begeistern – dafür kooperieren wir u. a. mit Schulen in der Region, informieren Schüler über Berufsmöglichkeiten und bieten Praktika an. Zudem bieten wir eine Reihe von dualen Studiengängen an. Um dem zunehmenden Fachkräftemangel zu begegnen, versuchen wir auch, unsere Attraktivität als Arbeitgeber kontinuierlich zu erhöhen. Wir bieten attraktive Arbeitsplätze mit modernster und effizientester Technologie und setzen auf ein Paket mit drei Maßnahmen. Erstens auf ein modernes Vergütungskonzept mit individuellen Prämienmodellen, die am Unternehmenserfolg beteiligen. Zweitens auf eine moderne Arbeitsgestaltung, die flexible Arbeitszeitmodelle und die Möglichkeit im Home-Office zu arbeiten, umfasst. Und drittens wollen wir Berufs- und Privatleben unserer Mitarbeiter noch stärker in Einklang bringen. Mit unserem Mitarbeiterprogramm Multicare, das Angebote rund um Gesundheit, Familie und Vorsorge beinhaltet. Dieses Maßnahmenpaket hat Erfolg. Multivac ist bei Fachkräften eine beliebte Marke. Wir profitieren außerdem davon, dass wir bei Engpässen personelle Unterstützung von unserem weltweiten Unternehmensnetzwerk erhalten. Daher trifft uns der Fachkräftemangel nicht so stark wie viele andere Unternehmen.
Welche Rollen spielen die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit für Multivac?
C. Traumann: Im Bereich Digitalisierung haben wir in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Rund 300 Kunden aus aller Welt sind mittlerweile in unsere Cloud eingebunden, die ihnen Zugriff auf die sogenannten Smart Services erlaubt. Dabei schicken die Anlagen Live-Daten aus der Produktion in die Cloud – anonymisiert und verschlüsselt. Software mit Zukunftstechnologien wie künstliche Intelligenz und Machine Learning übernehmen dort die Auswertung. Auf Dashboards sehen Kunden, ob sich die Produktion optimal verhält und wo es Optimierungsbedarf gibt. Immer mit dem Ziel: Standzeiten und Produktivität erhöhen, Kosten für Energie, Verpackungsmaterial und Wartungsaufwand senken. Die Digitalisierung ist somit ein wichtiger Baustein unseres Lösungsportfolios als Systemanbieter. Denn es geht darum, unsere Kunden auf ihrem Weg in eine erfolgreiche und nachhaltige Zukunft zu begleiten. Lebensmittelproduzenten konnten sich von diesen Möglichkeiten der Digitalisierung übrigens auf der Interpack 2023 in Düsseldorf überzeugen. Dort haben wir auch unseren Lösungen zur Stärkung der Nachhaltigkeit gezeigt. Halten wir uns vor Augen: 40% aller Lebensmittel verderben, bevor sie beim Verbraucher ankommen. Vor diesem Hintergrund spielen Verpackungen eine wichtige Rolle für den Schutz und die Haltbarkeit von Lebensmitteln.
Apropos Nachhaltigkeit: Hat Kunststoff als Verpackungsmaterial eine Zukunft?
C. Traumann: Die oft geforderte völlige Abkehr von Kunststoff als Verpackungsmaterial ist in meinen Augen der falsche Weg. Polymere haben einzigartige und unverzichtbare Eigenschaften, Produkte zu schützen und ihre Haltbarkeit zu verlängern. Denken wir nur an die Wasserdampf- und Sauerstoffbarrieren. Und die Herstellung ist nicht zwangsläufig weniger ökologisch als die Produktion von Papier, wie aktuelle Untersuchungen des Naturschutzbund Deutschland (NABU) zeigen. Wir müssen es aber schaffen, Ressourcen zu schonen und weniger Abfall zu erzeugen. Daran arbeiten wir mit Hochdruck. So ist es uns in den letzten zehn Jahren bspw. gelungen, die Foliendicke von Verpackungen mit geeigneten Maschinentechnologien um das zehnfache zu reduzieren. Außerdem entwickeln wir alternative Verpackungskonzepte, bei denen faserbasierte Materialien für die notwendige Stabilität der Packung sorgen und Kunststoffe in reduzierter Menge nur noch dort zum Einsatz kommen, wo sie ihre einzigartigen Eigenschaften ausspielen können. Ganz wichtig außerdem: Der Wechsel von der Linearwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft. Kunststoff ist zu wertvoll, um in der Verbrennung zu landen. Deshalb müssen wir die Recyclingströme für Verpackungsmaterialien verbessern. Dafür setzt sich auch R-Cycle ein, eine Initiative, zu deren Mitgründern wir zählen. Sie entwickelt einen digitalen Produktpass für Kunststofffolien, eine cloudbasierte Codierung, welche die Sortierung in Recyclinganlagen vereinfachen soll. Außerdem bin ich überzeugt: Wir brauchen ein Pfandsystem für Kunststoffverpackungen. Es würde auch dazu beitragen, Verbrauchern den Wert von Kunststoff vor Augen zu führen.
Sie sind Vizepräsident der interpack 2023. Was sind die größten Trends und Herausforderungen in der Verpackungsbranche?
C. Traumann: Die Branche sieht sich mit vielen Herausforderungen konfrontiert: u. a. mit sich verschärfenden Umweltauflagen und steigenden Kosten für Energie und Verpackungsmaterialien. Wir sind deshalb darum bemüht, Lösungen zu entwickeln, die möglichst viele dieser Herausforderungen abdecken. So ist es uns in den letzten Jahren durch technische Neuentwicklungen gelungen, dass unsere Maschinen deutlich weniger Energie, Wasser und Druckluft verbrauchen als früher. Zudem entwickeln wir Innovationen wie Multivac Sustainable Liquid Interleaving, ein System, das Aufschnittware nach dem Schneiden im Slicer mit natürlichen Ölen einsprüht, sodass die Scheiben beim Entnehmen nicht zerreißen. Hersteller können somit auf die klassischen Interleaving-Kunststoff-Folien verzichten, wodurch Kosten und Verpackungsmaterial reduziert werden können. Ein großes Thema in der Verpackungsbranche ist aber auch der Fachkräftemangel. Immer mehr Hersteller fragen nach Automationslösungen, weil ihnen schlichtweg das Personal fehlt. Deutlich zu beobachten ist auch der Trend zum One-Stop-Shopping. Viele Betriebe haben mittlerweile nicht die Kapazität, um mit mehreren Herstellern zu diskutieren, wenn sie eine Linienlösung zum Verarbeiten und Verpacken von Produkten realisieren möchten. Sie suchen Systemlieferanten mit einem festen Ansprechpartner und klarer Verantwortlichkeit. Genau das bieten wir. Und machen Business dadurch ein Stück einfacher.
Vielen Dank für diese Einblicke in die Verpackungsbranche, Herr Traumann.