Anlagenbau und Komponenten

Gelebte Nachhaltigkeit bis in den Naturdünger

Wernsing Feinkost gewinnt Biogas aus Reststoffen der Kartoffelverarbeitung mit der Prozessinstrumentierung von Endress+Hauser

16.04.2024 - Damit die Abwasserbehandlungs- und Biogasanlage rund um die Uhr reibungslos arbeiten, greift Wernsing auf Messtechnik und Engineering von Endress+Hauser zurück.

Die Wernsing Food Family verarbeitet jährlich ca. 500.000 t Kartoffeln in der Unternehmensgruppe. Ein erheblicher Teil dieser Menge wird am Standort der Wernsing Feinkost in Addrup/Essen eingesetzt. Die vielen energieintensiven Prozesse haben das Unternehmen schon vor über 20 Jahren dazu bewogen, das Potenzial des Abwassers und der Produktionsabfälle zur Energieerzeugung zu nutzen, mit der ein erheblicher Teil des Strombedarfs des Werks gedeckt wird. Damit die Abwasserbehandlungs- und Biogasanlage rund um die Uhr reibungslos arbeiten, greift Wernsing auf Messtechnik und Engineering von Endress + Hauser zurück.

Steht man auf einem der beiden 18 m hohen Biogas-Hochfermenter, so bekommt man neben der schönen Aussicht auf das Oldenburger Münsterland einen Überblick über die gesamte firmeneigene Abwasserbehandlungs- und Biogasanlage. Von hier oben erläutert uns Wilfried Elberfeld, Leiter dieses Entsorgungszentrums, die Arbeitsweise der Anlage. Er wurde im Jahr 2001 noch vom Firmengründer Heinrich Wernsing eingestellt. Somit schauen wir von diesem Aussichtspunkt auf das Ergebnis eines mit Weitsicht handelnden Unternehmertums und eines bewegten Berufslebens. Das jüngste Zeugnis dieses Handelns erblickt man in 500 m Entfernung: Neben dem Produktionswerk entsteht ein Biomasseheizwerk, welches Dampf für die Produktionsanlagen liefern und mit Altholz beheizt werden soll. Damit wird ein weiterer Meilenstein in der unternehmenseigenen Klimastrategie gelegt. Diese sieht vor, die CO2-Emissionen bis 2025 um 40 % gegenüber dem Stand von 2018 zu reduzieren. Die Stromerzeugung aus Biogas soll dabei um 40 % auf über 20 Mio. Kilowattstunden jährlich gesteigert werden.

Das Unternehmen Wernsing Feinkost

Die Produktpalette von Wernsing zielt auf die optimale Verwertung der Kartoffel aus überwiegend regionalem Anbau ab. Was vor über 60 Jahren hier mit der Produktion von frischen Pommes frites begann und 1982 auf den Tiefkühlbereich ausgeweitet wurde, beinhaltet heute zusätzlich Kroketten, Rösti, Reibekuchen und weitere Kartoffelspezialitäten. Salate, Saucen und Desserts runden das Sortiment ab. Als Teil der Wernsing Food Family mit 15 über Europa verteilten Standorten ist Wernsing Feinkost mit 1.400 Mitarbeitern am Standort Addrup einer der wichtigsten Arbeitgeber der Region. Zudem betreibt ­Wernsing Feinkost zertifizierte Qualitätsmanagement-Systeme nach dem IFS-Standard, dem ZNU-Standard Nachhaltiger Wirtschaften und dem ISO 50001-Standard Energiemanagement.

Abwasserbehandlungs- und Biogasanlage

Die Reinigungsleistung der Abwasserbehandlungsanlage entspricht 210.000 Einwohnergleichwerten (EWG). Die Feststoff-Siebung des Abwassers erfolgt im Werk. Auf dem Gelände des Entsorgungszentrums werden nach einem ersten Misch- und Ausgleichsschritt alle Öle/Fette durch Flotationsanlagen entfernt. Die Vorklärung beseitigt Schwimmstoffe. Ein zweiter Misch- und Ausgleichsschritt dient zur Standardisierung des pH-Wertes und der Temperatur. Anschließend erfolgt die anaerobe Vorbehandlung des Abwassers. Vier Fünftel der Schadstoffe werden hier bereits abgebaut, den Rest entfernen die Behandlungsschritte in der Belebung und Nachklärung. Das Wasser wird abschließend im Sandfilter von Feststoffen befreit. Dieses wird in einem aktuellen Projekt mittels Ultrafiltration und Umkehrosmose zur weiteren Nutzung in technischen Anlagen aufbereitet.

Das Biogas stammt aus der Vergärung von ausschließlich biologischen Produktionsreststoffen aus der Kartoffel- und Lebensmittelherstellung. Diese biologischen Reststoffe werden vom Werk in die Tankbehälter des Entsorgungszentrums gebracht. Insgesamt stehen sechs Fermenter auf dem Gelände. Vier Betonbehälter mit flexibler Haube werden seit 20 Jahren betrieben, zwei neuere sind als Hochfermenter ausgeführt. Letztere besitzen ein Fassungsvermögen von je 3.200 m3 und sind mit 18 m Höhe ganze zehn Meter höher, aber mit 15 m Durchmesser fünf Meter schmaler als die alten Fermenter.

Der Grund: das zentral gelegene Rührwerk arbeitet bei der hohen Ausführung effektiver. Um die Biomasse optimal zu Biogas zu vergären, muss zwei Mal stündlich frisches Material zugeführt werden. Das Gas aus den Fermentern wird anschließend getrocknet und gereinigt und den insgesamt fünf Gas-Ottomotoren zur Stromerzeugung zugeführt. Die Gasmotoren können eine elektrische Leistung von bis zu 4 MW erzeugen und werden als Kraftwärmekopplungsanlage (KWK-Anlage) betrieben. Das zugeführte Biogas hat einen durchschnittlichen Methangehalt von ca. 62 %.

Der aus der Vergärung anfallende Schlamm wird über Zentrifugen entwässert und einer Trocknungsanlage zugeführt. Wilfried Elberfeld betont, dass ein wesentlicher Pfeiler des Unternehmenserfolgs die Sparsamkeit ist: die optimale Verwertung des zur Verfügung Stehenden. Daher war es naheliegend, die 450 °C heißen Abgase der Motoren für die Schlammtrocknung zu verwenden. Übrig bleibt ein weiter verwendbarer Naturdünger.

Die Prozessinstrumentierung als Rückgrat der Anlage

Auf dieser Anlage hat alles mit den magnetisch-induktiven Durchflussmessgeräten angefangen, erläutert Wilfried Elberfeld. Auf der Suche nach robusten und langlebigen Geräten wurde man bei Endress + Hauser fündig. Für die Erfassung des Wassers und Abwassers sind hier die Sensoren Proline Promag P und W seit vielen Jahren im Einsatz und bewähren sich besonders bei abrasiven Medien, hohen Temperaturen und widrigen Witterungseinflüssen.
Als es galt, die Prozesse in der Abwasserreinigung weiter zu optimieren, konnte Endress + Hauser sein Know-how aus der indus­triellen Abwasserreinigung einbringen. Um die Belüftung in den Belebungsbecken entsprechend den Abbauvorgängen zu steuern und damit den Energieeinsatz zu optimieren, musste eine Lösung gefunden werden, die dauerhaft und zuverlässig funktioniert. Auf der Brücke über den Belebungsbecken wurde ein Gebäude errichtet, welches die Messstellen beherbergt. Hier werden die Parameter Phosphat und Ammonium mit den colorimetrischen Analysatoren des Liquiline Systems CA80 analysiert.

Der Nitratgehalt wird UV-photometrisch mit der optischen Sonde Viomax CAS51D gemessen. Die Messungen werden durch das vollautomatische Probenaufbereitungssystem CAT820 kontinuierlich mit Medium versorgt, welches über Filterkerzen aus den jeweiligen Becken gepumpt wird. Die Lösung wurde als Komplettpaket inklusive Inbetriebnahme, Schulung und Reinigungseinheit für die Filterkerzen angeboten. In den Belebungsbecken selbst wird der Sauerstoffgehalt durch die optischen Sensoren Oxymax COS61D gemessen. Diese werden durch eine angeschlossene Druckluftreinigung intervallmäßig von anhaftenden Belägen befreit.
Die Herausforderung in der Biogasanlage liegt auch in der Reinigung der Messstellen. Das Medium besitzt hier einen wesentlich höheren Gehalt an Trockensubstanz. Dieser liegt am Fermentationsstart bei 8 – 10 % und sinkt während der Vergärung auf 1 – 2 %. Um den Füllstand rund um die Uhr zuverlässig zu messen, werden zwei verschiedene Messverfahren eingesetzt. Von oben kommt mit dem Micropilot FMR62 freiabstrahlendes Radar und von unten mit dem Drucktransmitter Deltapilot FMB50 in redundanter Ausführung die hydrostatische Füllstandmessung zum Einsatz. Direkt über den beiden Deltapiloten befindet sich die pH-Messstelle. Beide Sensorsysteme können über eine Kugelhahn-Armatur vom Prozess abgekoppelt werden und besitzen eine Wasserspülung, um den Messkanal von Anbackungen regelmäßig zu befreien.

Das wertvolle Endprodukt der Vergärung ist das Biogas. Auf seinem Weg zu den Motoren passiert es den Gasfilter und Verdichter sowie die biologische Entschwefelung über Aktivkohle. Die Schlüsselapplikation zur Erfassung der Gasmenge meistert der Prosonic Flow B200. Seit über acht Jahren erfassen 19 Ultraschall-Durchflussmessgeräte über die gesamte Anlage den Volumendurchfluss. Hohe Feuchtigkeit – bis hin zur Kondensation, schwankende Gaszusammensetzung, geringer Druck sowie kleinste Fließgeschwindigkeiten erfordern eine Messtechnologie, die weltweit einzigartig ist. Durch die gemessene Schallgeschwindigkeit des Ultraschallsignals wird mit Hilfe des integrierten Temperaturfühlers gleichzeitig der Methangehalt des Biogases ermittelt. Dieses ist für den sicheren und reibungslosen Betrieb der Anlage erforderlich. So können die Motoren zur Verstromung erst bei einem Methangehalt ab ca. 50 % betrieben werden. Beeinträchtigungen in der Vergärung durch unvorhergesehene Ereignisse werden so rechtzeitig entdeckt und können umgehend korrigiert werden.

Bei der Durchflussmessung der Abgasströme aus dem Motor, welche für die Trocknung des entwässerten Bioschlammes verwendet werden, sind die Anforderungen ganz andere. Da die Temperaturen hier bei 450 °C liegen, fällt die Wahl auf das Differenzdruck-Verfahren mittels Deltabar PMD75. Eine Blende in der Abgasleitung erzeugt einen Druckabfall, dessen Wert direkt proportional zum Masse- und Volumenstrom des Abgases ist. Für neun Messtellen der zweiten Trommel-Trocknungsanlage hat Endress + Hauser das komplette Engineering mit zur Verfügung gestellt. Diese Anlage besitzt die doppelte Kapazität der Ersten aus dem Jahr 2005 und wappnet das Entsorgungszentrum für die Wachstumspläne der Zukunft, betont Wilfried Elberfeld

Zusammenfassung

Dass Wernsing sich das Thema Nachhaltigkeit nicht erst seit ein paar Jahren auf die Fahnen geschrieben hat, sondern gelebter Bestandteil der Unternehmens-Philosophie ist, belegt der konsequente Ausbau und die stetige Erweiterung der Abwasserbehandlungs- und Biogasanlage. Zu Beginn der 1990er Jahre wurde die Abwasserbehandlungsanlage errichtet, und 1997 mit dem anaeroben Bereich ergänzt. Seit 2002 können biologische Reststoffe aus der Kartoffelverarbeitung in der Biogasanlage energetisch genutzt werden. Diesen Bereich hat Wilfried Elberfeld mitaufbauen können. Über all die Jahre hat er Endress + Hauser nicht nur als das Komplett-Lieferant für Messtechnik kennengelernt, der nicht nur den hygienischen Bereich der Kartoffelverarbeitung abdeckt, sondern auch für alle Applikationen im Abwasser- und Biogasbereich die zuverlässige Lösung hat. Durch alle Projekte entwickelte sich eine partnerschaftliche Beziehung, von der auch immer die beauftragten Anlagenbauer profitieren konnten. Mit Endress + Hauser hat Wernsing einen verlässlichen Partner an der Seite hat, der die zukünftigen Fragestellungen rund um die Prozessinstrumentierung immer kompetent lösen kann.

Autor: Tim Schrodt, Industriemanager Lebensmittel, Endress + Hauser

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