Planung und Konstruktion einer kollaborativen Roboterzelle
Kooperation von Mensch und Roboter
Die sichere Zusammenarbeit von Menschen und Robotern in kollaborierenden Arbeitssystemen ist erstens möglich und bringt zweitens klare Vorteile – auch bei Verpackungsprozessen. Allerdings müssen einige Voraussetzungen geschaffen und diverse Normen der Maschinensicherheit berücksichtigt werden.
Vom Roboter zum Cobot: Dieser Schritt bietet sich in vielen Anwendungsbereichen der industriellen Automation an – und auch in der Verpackung von Lebensmitteln, wenn es sich um kleinere Stückzahlen oder Sonderverpackungen handelt.
Die Kollaboration, sprich die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter ohne trennende Schutzeinrichtungen, kann hier die Flexibilität deutlich erhöhen, und eben das ist gefragt, wenn immer häufiger kleine Serien produziert werden oder wenn auf einer Linie verschiedene Produkte gefertigt werden sollen.
Kooperation von Mensch und Roboter
Deshalb steht auch im Verpackungsmaschinenbau die Frage im Raum: Was ist bei der Konstruktion von Roboterzellen mit Mensch-Roboter-Kollaboration zu beachten? Deren Grundkonzept sieht vor, dass Mensch und Roboter gleichzeitig in einem Arbeitssystem tätig und zusätzlich von trennenden Schutzeinrichtungen von der Außenwelt abgeschirmt sind. Das heißt: Die Zelle braucht einen Schutzzaun mit Schutztüren, und sie braucht Zuführmöglichkeiten in den Gefahrenbereich hinein und aus ihm heraus – z. B. Förderanlagen oder Übergabestationen für die zu bearbeitenden Produkte.
Was die Zelle hingegen nicht (mehr) braucht, ist eine physische Trennung bzw. Absicherung zwischen den Arbeitsbereichen von Mensch und Roboter. Das ist aus Sicht der Robotik und der Automatisierungstechnik ein echter Einschnitt: Jahrzehntelang durften Roboter und Bediener niemals in Kontakt kommen, und der Roboter musste seine Tätigkeit hinter „Schloss und Riegel“ verrichten.
Eine Kombination mit hohem Nutzwert
Jetzt ist die gleichzeitige Tätigkeit von Mensch und Roboter in einem Arbeitssystem Teil der „Smart Factory“. Es gibt viele Hersteller von kollaborativen Robotern (Cobots) und mindestens ebenso viele Systemintegratoren, deren Anlagen auch dank der Cobots hoch produktiv kleinere Stückzahlen von Produkten und auch Verpackungen erzeugen. Bei jeder einzelnen Applikation werden die Stärken des menschlichen Bedieners (Geschick, Kraftdosierung, selbstständige Problemlösung) mit denen des Roboters (Präzision, Ermüdungsfreiheit, Wiederholgenauigkeit) kombiniert.
Klare Grundsätze für die Kollaboration
Natürlich mussten für diese neue Art der Zusammenarbeit erst die normativen Grundlagen geschaffen werden mit dem Ziel, den Roboter mit Sicherheitseinrichtungen zum Schutz des Menschen auszustatten und ihn zum kollaborierenden Roboter zu machen. Das ist geschehen und soll hier kurz vorgestellt werden. Wie generell in der Maschinensicherheit (und das heißt: im Geltungsbereich der Maschinenrichtlinie) gilt in der kollaborativen Robotik die „Normenpyramide“ von harmonisierten Typ A-, Typ B- und Typ C-Normen.
Basis: Die allgemeine Normenpyramide
Als Typ A-Normen bezeichnet man die Sicherheitsgrundnorm. Die EN ISO 12100 beschreibt die Risikobeurteilung. Etwas konkreter werden die Typ B1-Normen, die sich mit speziellen Sicherheitsaspekten befassen. Beispiele sind die bekannte EN ISO 13849 (sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen) und EN ISO 11161 (integrierte Fertigungssysteme). Die Typ B2-Normen treffen Aussagen zu einzelnen Arten von Sicherheitsgeräten, z. B. zu Not-Halt-Einrichtungen (EN 13850).
Speziell für die Robotik gibt es mehrere Fachnormen oder Typ C-Normen. Dazu gehören:
- EN ISO 10218 „Industrieroboter – Sicherheitsanforderungen“, gegliedert in Teil 1 („Roboter“) und Teil 2 („Robotersysteme und Integration“). Hier werden Sicherheitsanforderungen an Roboterzellen definiert.
- EN ISO 11161 „Sicherheit von Maschinen – Integrierte Fertigungssysteme – Grundlegende Anforderungen“,
- ISO/TS 15066 „Roboter und Robotikgeräte – kollaborierende Roboter“.
Die letztgenannte Norm ist allerdings nicht harmonisiert, d. h. nicht unter der MRL gelistet. Darüber hinaus steht die Normenreihe EN ISO 10218 kurz vor der Veröffentlichung einer überarbeiteten Version. Teil zwei der Normenreihe wird ab diesem Zeitpunkt die Anforderungen der ISO/TS 15066 beinhalten, sodass die Anforderungen an kollaborierende Robotersysteme bald vollständig der EN ISO 10218-2 entnommen werden können.
Neben den Normen gibt es weitere hilfreiche Dokumente zum Thema „Maschinensicherheit bei kollaborativen Robotern“ – z. B. die DGUV-Information 209-074 „Kollaborierende Robotersysteme“ samt Checkliste sowie ein VDMA-Positionspapier „Sicherheit bei der Mensch-Roboter-Kollaboration“ und mehrere nützliche Whitepapers vom TÜV Austria.
Der Weg zum kollaborierenden Arbeitssystem nach ISO/TS 15066
In drei Schritten kann ein kollaborierendes Robotersystem erreicht werden:
- Verwendung eines konformen Roboters nach EN ISO 10218-1.
- Integration des Roboters in eine Roboterzelle entsprechend den Anforderungen der EN ISO 10218-2, dabei ggf. Anwendung der EN ISO 11161.
- Gestaltung des Kollaborationsraumes entsprechend ISO/TS 15066.
Die EN ISO 10218 definiert die Räume, die bei der Gestaltung der Sicherheitsmaßnahmen von Roboterzellen zu berücksichtigen sind (maximaler Raum, eingeschränkter Raum, Betriebsraum, geschützter Bereich). Darüber hinaus gibt es bei kollaborierenden Robotern einen Kollaborationsraum, der sowohl in EN ISO 10218-1 als auch in ISO/TS 15066 beschrieben wird. In ihm können sich Mensch und Roboter gleichzeitig aufhalten und Aufgaben ausführen. Die entsprechende Betriebsart nennt sich „kollaborierender Betrieb“.
Konkrete Anforderungen bei kollaborierendem Betrieb
Welche Anforderungen gelten nun konkret für Entwurf und Planung einer Roboterzelle als „kollaborierendes Arbeitssystem“ gemäß ISO/TS 15066? Wenn das Layout der Zelle definiert ist, sollte der Konstrukteur die Gefährdungen ermitteln und eine Risikobeurteilung durchführen. Daraus ergeben sich die notwendigen Maßnahmen zur Risikominderung. Welche Maßnahmen für ein kollaborierendes Arbeitssystem zulässig sind, wird in der ISO/TS 15066 beschrieben und mit den entsprechenden Anforderungen definiert.
Gestaltung des Layouts der Roboterzelle
Die Gestaltung des Layouts ist ein Kernprozess bei der Risikominderung in kollaborativen Roboterzellen. Mit dem Layout werden die oben genannten Räume, einschließlich des Kollaborationsraums, festgelegt und auch die Zugänge zu den Gefahrenbereichen. Bei diesem entscheidenden Schritt sollte sowohl die Ergonomie an der Mensch-Maschine-Schnittstelle bedacht werden als auch der zusätzliche Raum, der ggfs. für Nachlaufbewegungen des Roboters (z. B. nach der Betätigung der Not-Halt-Einrichtung) benötigt wird.
Besondere Gefährdungen berücksichtigen
Zu den Aufgaben des Konstrukteurs bzw. Sicherheitsingenieurs gehört die Berücksichtigung des besonderen Gefährdungspotenzials durch Roboter und deren Betrachtung im Rahmen der Risikobeurteilung. Schließlich war es nicht ohne Grund so, dass die Arbeitsbereiche von Mensch und Roboter jahrzehntelang strikt getrennt werden mussten. Hilfreich sind in diesem Zusammenhang die Gefährdungslisten im Anhang A der EN ISO 10218-1 und EN ISO 10218-2, die speziell auf die Gefährdungen von Robotern und in Roboterzellen eingehen.
Konkret besteht das Gefährdungspotenzial u. a. darin, dass Roboter Bewegungen mit hoher Energie und Reichweite ausführen und dass ihr Verfahrweg nur schwer vorhersehbar ist. Unter Umständen muss auch damit gerechnet werden, dass mehrere Roboter in einem gemeinsamen Betriebsraum arbeiten. Deshalb muss der Kollaborationsraum eindeutig festgelegt werden und jede Bedienperson in diesem Raum, d. h. im Arbeitsbereich des Roboters, muss ein eigenes Steuerungselement mit sich führen. Ebenfalls vorgeschrieben ist der Einsatz einer sicheren Software zur Achs- und Raumbegrenzung, die in der Regel vom Hersteller des Roboters bereitgestellt wird.
Möglichkeiten zur Gestaltung eines kollaborierenden Betriebes
Die ISO/TS stellt vier Möglichkeiten in den Mittelpunkt, wie die Kollaboration zwischen dem Bediener und dem Roboter realisiert werden kann. Zu diesen gehören die Handführung des Roboters (Bewegung des Roboterarms durch menschliche Krafteinwirkung), die Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung (Verringerung Geschwindigkeit durch Abstand), der sicherheitsbewertete überwachte Halt (Stoppkategorie 2, Wiederanlauf beim Verlassen vom Kollaborationsraum) und die Leistungs- und Kraftbegrenzung (Risikominderung durch reduzierte Kräfte). Fast alle diese Methoden bedingen eine steuerungstechnische Realisierung, sodass zusätzliche Sicherheitsfunktionen zu bewerten sind.
Leistungs- und Kraftbegrenzung
Die wesentliche Gefährdung bei der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter ist der unbeabsichtigte Kontakt von beiden. Bei der Leistungs- und Kraftbegrenzung sollen daher die resultierenden Folgen eines solchen Kontaktes minimiert werden. Kann es im Kollaborationsraum zu einem Kontakt kommen, gibt es auf die einzelnen Körperteile bezogene Belastungsgrenzwerte, die einzuhalten sind. Das kann durch passive Schutzmaßnahmen geschehen, z. B. durch Schaumstoffpolster, eine Vergrößerung der Kontaktfläche oder eine Begrenzung der bewegten Massen. Oder aber der Konstrukteur der kollaborativen Roboterzelle beugt hier aktiv, per Steuerungstechnik, vor – z. B. durch eine Begrenzung von Kraft oder Drehmoment oder durch die Integration von Sensorik, die den Bediener detektiert.
Im Fokus: Sichere Überwachung
Somit sind beim kollaborierenden Betrieb von Roboterzellen verschiedene Sicherheitsfunktionen zu realisieren. Je nach gewählter Realisierung des kollaborierenden Betriebs sind z. B. Drehmoment, Kraft, Geschwindigkeit oder Position der Roboterachse sicherheitsgerichtet zu überwachen. Auch ein Betriebsartenwahl- und Zustimmungsschalter gehört in der Regel zur sicherheitsbezogenen Ausstattung. Die entsprechenden Produkte bzw. Systemlösungen sind z. B. im Schmersal-Programm verfügbar und in solchen Anwendungen bewährt.
Verifizierung und Validierung
Gemäß ISO/TS 15066 muss das Ergebnis der Gestaltung einer kollaborativen Roboterzelle abschließend verifiziert und validiert werden. Dieser Schritt ist aufgrund des hohen Gefahrenpotenzials in Robotersystem elementar, um die Sicherheit abschließend zu bestätigen und die Konformität nach MRL zu erreichen. Hierbei – und auch bei den vorgelagerten Arbeitsschritten wie Konformitätsbewertung, Risikobeurteilung, Kraft- und Druckmessung – kann der Anwender die qualifizierten Dienstleistungen des Tec.nicum von Schmersal in Anspruch nehmen. Die Safety Consultants des Tec.nicum bringen die nötige Expertise mit und auch ein hohes Maß an Branchenkompetenz in der Verpackungstechnik.
Autor: Benjamin Bottler M.Sc., Safety Consultant, K.A. Schmersal
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